Dialyse & Wässern: Was rausgeht, was bleibt

Dialyse & Wässern: Was rausgeht, was bleibt

✨ Einleitung

Wässern ist eine der ältesten, zugleich aber auch wirkungsvollsten Methoden, um bei Nahrungsmitteln Kalium und Phosphat zu reduzieren – zwei Mineralstoffe, die bei Niereninsuffizienz problematisch werden können.
Doch die Medaille hat zwei Seiten: Mit dem „bösen“ Kalium verschwinden oft auch wertvolle Vitamine und Spurenelemente.

In Dialysehaushalten ist das Wässern deshalb tägliche Routine – besonders bei kaliumreichen Gemüsen wie Kartoffeln, Kürbis, Karotten, Spinat oder Hülsenfrüchten.
Aber: Was genau passiert dabei chemisch, und wie stark verändern sich die Nährstoffgehalte wirklich?

Chemie & Physiologie des Wässerns

Wässern funktioniert über Diffusion: Stoffe mit hoher Konzentration (z. B. Kalium in der Zelle) wandern in Richtung niedriger Konzentration (das Wasser).
Dieser Austausch ist umso stärker, je wärmer das Wasser ist, je länger die Einwirkzeit und je kleiner die Lebensmittelstücke sind.

Kalium (\mathrm{K^+}) ist hoch wasserlöslich – es diffundiert sehr leicht ins Wasser.

Phosphat (\mathrm{PO_4^{3-}}) verlässt die Zellen langsamer, da es teilweise an Proteine gebunden ist.

Natrium (\mathrm{Na^+}) kann je nach Zellstruktur sowohl ein- als auch austreten.

Vitamine der B-Gruppe und Vitamin C sind ebenfalls wasserlöslich und sehr empfindlich gegenüber Hitze und Sauerstoff.

Fettlösliche Vitamine (A, D, E, K) bleiben weitgehend stabil – sie sind kaum im Wasser löslich.

Man verliert also genau jene Stoffe, die wasserlöslich sind – das betrifft besonders Vitamin C, Folat (B9) und teilweise auch B1, B6.
Diese Vitamine tragen wesentlich zu Zellschutz, Blutbildung und Immunsystem bei – ihre Verluste sind also nicht trivial.

Vergleich der Garmethoden

Garmethode Kaliumverlust Phosphatverlust Vitamin C / Folat Vitamine A/D/E/K Bewertung
Wässern + Kochen 60–80 % 40–60 % 30–70 % < 5 % ✅ Beste Kaliumreduktion, aber deutlicher Vitaminverlust
Dämpfen 20–30 % 15–25 % 10–25 % < 5 % ⚖️ Schonend, aber Kalium bleibt weitgehend erhalten
Backen / Braten 5–10 % < 10 % 10–20 % 5–10 % ❌ Kaum Mineralverlust, nicht für Dialyse geeignet
Mikrowelle 10–20 % 5–15 % 20–30 % < 5 % ⚙️ Schnell, aber ungleichmäßige Reduktion

Ergebnis:
Für Dialysepatienten ist Kochen in reichlich Wasser nach vorherigem Wässern die effektivste Methode, um Kalium und Phosphat zu senken.
Die besten Kompromisse erreicht man, wenn man das Kochwasser verwirft und das Gemüse danach kurz in frischem Wasser dämpft oder abschwenkt – das reduziert Schadstoffe, erhält aber Geschmack und Textur.

Wässern & Garen – Berechnen und Visualisieren

Nephro Calc wurde entwickelt, um den Umgang mit kalium- und phosphatreduzierter Ernährung in der Dialysepraxis
transparenter und nachvollziehbarer zu machen.
Das Ziel ist, dass Ärzte, Pflegepersonal, Ernährungsberater und Dialysepatienten
die Auswirkungen von Wässern und Garen nicht nur theoretisch verstehen,
sondern visuell erleben können.

Die Software zeigt in Echtzeit, wie sich Kalium-, Phosphat- und Vitamingehalte
durch verschiedene Zubereitungsmethoden verändern – anschaulich, nachvollziehbar und individuell anpassbar.
Damit wird Ernährungsschulung zu einem interaktiven Prozess:
Patienten sehen unmittelbar, wie stark ein zusätzlicher Wasserwechsel oder eine längere Wässerungszeit
den Kaliumgehalt senken kann, aber auch, wie Vitamine dabei verloren gehen.

So unterstützt Nephro Calc nicht nur bei der individuellen Ernährungsberatung,
sondern auch bei der Fortbildung des Fachpersonals in Dialyseeinrichtungen.
Das Tool schafft Verständnis, fördert Eigenverantwortung und bringt Daten und Praxis auf einen gemeinsamen Nenner.

Was wird berücksichtigt?

  • Lebensmittel & Portion: z. B. Kartoffel 200 g, Kürbis 180 g.
  • Schnittgröße / Geometrie: Scheiben (Dicke d) oder Würfel (Kante a) → beeinflusst Oberfläche/Volumen (S/V).
  • Wasserverhältnis & -wechsel: 1:5, 1:10 usw.; Anzahl der Wechsel (0–3+).
  • Garmethode: Wässern, Kochen, Dämpfen, Mikrowelle, Backen/Braten.
  • Garzeit & Temperaturprofil: z. B. 60 min Wässern + 12 min Kochen.
  • Nährstoffauswahl: Kalium (K), Phosphat (P), Vitamin C, Folat, B1/B6, A/D/E/K.

Physikalische Basis (vereinfacht)

\displaystyle J \;=\; -\,D\,\nabla c \qquad \text{(Fluss proportional zum Konzentrationsgefälle)}
Die charakteristische Eindring-/Austrittstiefe steigt mit der Wurzel aus Zeit:

\displaystyle \ell \;\sim\; \sqrt{D\,t}
Die Schnittgröße steuert das Oberfläche/Volumen-Verhältnis (S/V):

\displaystyle \text{S/V (Scheibe, Dicke }d) \;\approx\; \frac{2}{d} \qquad \text{S/V (Würfel, Kante }a) \;=\; \frac{6}{a}

Leckage-Modell (pro Nährstoff)

Nephro Calc verwendet pro Garmethode leakMultByNutrient – empirisch kalibrierte Faktoren, die Diffusion + thermische Effekte abbilden.

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Interpretation: Bei 12 Minuten Kochen mit 1:10 Wasser und einem Wasserwechsel gehen ca. 80 % Kalium, 55 % Phosphat, 50–60 % Vitamin C/Folat verloren; fettlösliche Vitamine kaum.

Workflow

  1. Auswahl: Lebensmittel → Portion → Ziel-Kaliumwert (z. B. < 200 mg/Portion).
  2. Kontext setzen: Schnitt (Scheibe/Würfel), Dicke/Kante, Wasserverhältnis, Garmethode(n), Wasserwechsel, Dauer.
  3. Simulation: Nephro Calc berechnet Restgehalte in mg und % je Nährstoff.
  4. Visualisierung: Live-Kurven (Zeit → Restgehalt) und Balken (Start vs. Rest).
  5. Feintuning: Parameter ändern, bis das Ziel erreicht ist (z. B. 2. Wasserwechsel oder kürzere Garzeit).

Beispiel: Kürbis (Hokkaido)

Vitaminart: Vitamin C
Kochart: Kochen in Wasser (12 Minuten)
Schnittgröße: 1 cm Würfel
Wässern: 1 Stunde, 3× Wasserwechsel

Tiefenanalyse

Zellphysiologische Grundlage

p>Beim Erhitzen denaturieren Membranproteine und öffnen mikroskopische Kanäle in den Zellwänden.
Dadurch erhöht sich die Permeabilität für Ionen wie Kalium und Phosphat.
Die Diffusionsrate folgt näherungsweise der Fick’schen Gesetzmäßigkeit:

\displaystyle J \;=\; -\,D\,\frac{\Delta c}{\Delta x}

wobei D die Diffusionskonstante ist, die exponentiell mit der Temperatur steigt.
Das bedeutet: Je höher die Temperatur, desto schneller diffundieren gelöste Ionen aus den Pflanzenzellen in das umgebende Wasser.

Vitaminabbau

Vitamin C zerfällt bei Temperaturen über 70 °C zu
Dehydroascorbinsäure und weiter zu 2,3-Diketogulonsäure
irreversible Reaktionen, die selbst bei kurzen Kochzeiten auftreten können.
Dadurch sinkt die biologische Aktivität deutlich.

Folat (Vitamin B9) verliert seine Funktion durch die thermische
Spaltung der Pteridin-Seitenkette, was die Coenzymaktivität stark reduziert.
Auch B-Vitamine (z. B. B1 und B6) reagieren empfindlich auf Sauerstoff und Licht,
was ihre Stabilität zusätzlich beeinträchtigt.

Diese Prozesse führen dazu, dass wasserlösliche Vitamine deutlich stärker betroffen sind als fettlösliche –
ein Grund, warum beim Wässern und Kochen vor allem Vitamin C und Folat stark abnehmen.

Phosphatbindung

Ein Teil des Phosphats liegt nicht frei in Lösung vor,
sondern ist organisch gebunden, etwa als Phosphoprotein oder Phytat.
Diese Formen sind weniger diffusibel und können beim Kochen nur teilweise ins Wasser übergehen.

Daher beträgt der reale Verlust in der Regel nur etwa 40–60 %,
selbst bei längeren Kochzeiten oder mehrfachen Wasserwechseln.
Das erklärt, warum Phosphatverluste meist geringer ausfallen als die von Kalium oder Vitamin C.

Literaturbasis

Boari, F. et al. (2013): Influence of soaking and cooking on mineral and vitamin retention in vegetables.
Food Chemistry, 138(2-3), 159–165.

EFSA Journal (2020): Water-soluble vitamins – stability and degradation kinetics.
EFSA Panel on Nutrition, Parma.

USDA FoodData Central (2021): Nutrient retention factors and cooking loss data.

Fazit

Das Wässern bleibt die wichtigste Methode, um bei nierenkranken Menschen Kalium und Phosphat gezielt zu reduzieren – aber:
Man muss sich des Preises bewusst sein – der Verlust an Vitaminen kann erheblich sein.

Die beste Kombination lautet daher:

Wässern (mind. 1 h) → Kochen in reichlich Wasser → Kochwasser verwerfen → kurz nachdämpfen

So erreicht man den maximalen Kaliumabbau bei noch akzeptablem Vitaminverlust.

Für die tägliche Ernährung empfiehlt es sich, vitaminreiche, kaliumarme Rohkostanteile (z. B. Gurke, Apfel, Paprika) hinzuzufügen, um die Verluste auszugleichen und den Gesamtvitamingehalt einer Mahlzeit wieder zu erhöhen.

Ausgenommen sind nur sehr stark kaliumhaltige Lebensmittel (z. B. bestimmte Hülsenfrüchte, Süßkartoffeln oder Spinat).
Hier sollte – je nach geplanter Verzehrmenge – eine gezielte Reduktion erfolgen, bis die gewünschte Kaliumkonzentration erreicht ist.

Diese Anpassung lässt sich mit der entwickelten Software hervorragend simulieren:
Durch das Variieren von Schnittgröße, Garzeit und Wasserwechsel kann man präzise berechnen, wie viel Kalium tatsächlich im Lebensmittel verbleibt.
So wird aus einer groben Küchentechnik ein wissenschaftlich steuerbares Verfahren, das individuell auf den Patientenbedarf abgestimmt werden kann.

Last Updated: 12. Oktober 2025By Tags: , , , , ,